„Betreuter Unterrichtsausfall“—Die neue Richtlinie zur Vermeidung von Unterrichtsausfall und zur Organisation von Vertretungsunterricht

Nun ist es also so weit: Nachdem die BSFB im
Vorwege die Kammern um Stellungnahmen gebeten
hat, hat sie nach 26 Jahren eine neue Richtlinie
zum Vertretungsunterricht veröffentlicht. Man
könnte meinen, dass dies auch endlich Zeit wurde;
schließlich hat sich mit „Ganztag“, „Inklusion“ und
„Digitalisierung“ die Schullandschaft erheblich verändert.
Leider wirft die neue Richtlinie mehr Fragen
auf, als dass sie Antworten auf die heutige Schulrealität
vor Ort gibt.

Die neue Richtlinie soll den Rahmen setzen, um
den Vertretungsunterricht „als Fortsetzung von
geplantem Unterricht“ durchzuführen. Der Rahmen
aber wird nun nahezu grenzenlos gesteckt, sodass
oftmals mitnichten geplanter Unterricht fortgeführt
werden kann. Der Richtlinie ist nicht grenzscharf
zu entnehmen, wie die Schulbehörde „Unterricht“,
„Vertretung“ und „Betreuung“ genau definiert und
wo die Grenzen der Begrifflichkeiten liegen. Verantwortung
wird auf die Schüler:innen abgewälzt; es
wird von der Nutzung der Lernmanagementsysteme
gesprochen, ohne dabei eine nachhaltige technische
Ausstattung, pädagogische Konzepte oder Dienstvereinbarungen
mit dem GPR im Blick zu haben
und zudem wird den Kolleg:innen unbezahlte Mehrarbeit
aufgebürdet.

Was sollen künftig die Schüler:innen leisten?

War in der bisherigen Richtlinie explizit aufgeführt,
dass der Vertretungsunterricht in seiner Qualität
und Zielsetzung dem regulären Fachunterricht entsprechen
sollte, wird nun der Vertretungsunterricht
„als Teil der Lernprozesse der Schülerinnen und
Schüler neu bewertet“. War in der alten Richtlinie
noch sichergestellt, dass alle Arbeitsaufträge bis
einschließlich Sek I unter Aufsicht einer Lehrkraft
ausgeführt wurden (Pkt. 4.3), so wird nun die
Aufsicht von „geeignetem pädagogischen Personal“
durchgeführt. Es wird hierbei weder festgehalten,
wie dieses „geeignete pädagogische Personal“
definiert ist (geeignet für Unterricht und Unterrichtsvertretung
sind nur Lehrkräfte), noch dass
pädagogisches und technisches Personal (PTF)
nur im äußersten Notfall eingesetzt werden darf.
Darüber hinaus sollen die Arbeitsaufträge bisweilen
sogar auch in der Sek I selbstständig von den Schüler:
innen durchgeführt werden (Pkt. 1.6). Entspricht
dies der Qualität des regulären Fachunterrichts? Der
GPR meint: Nein! Der GPR lehnt diese Änderung
ab!

Was sollen künftig die Lehrer:innen neu leisten?

Meinte man bisher, dass ausgefallene Arbeit aufgrund
von z. B. Krankheit als geleistet gilt, so soll
nun die ausfallende Arbeit vor- und nachbereitet
werden! Die Anfertigung von einem Pool an Material
und Aufgaben für den Vertretungsfall ist in der
Hamburger Lehrkräfte–Arbeitszeit–Verordnung
(LehrArbzVO) nicht abgebildet. Wer kümmert sich
um die Erstellung und Pflege des Materials? Wer
erneuert dies, bringt es auf den neuesten Stand und
prüft seine didaktische und pädagogische Eignung
immer wieder kritisch? Die BSFB lässt hier die
Schulen allein; Verantwortungsdiffusion lehnt der
GPR nachdrücklich ab!

In der Grundschule sollen die Schüler:innen gegebenenfalls
auf andere Klassen aufgeteilt werden,
mit der Maßgabe, dass „eine Weiterarbeit nach
individuellem Wochenplan oder anhand von bereitliegendem
Freiarbeitsmaterial im Unterricht einer
anderen Lerngruppe erfolgt“. Neben der Mehrbelastung
durch eine zusätzliche Lerngruppe (wo sollen
die Schüler:innen eigentlich arbeiten—auf dem
Boden?), ist auch hier unklar, wer einen individuellen
Wochenplan oder passendes Freiarbeitsmaterial
erstellt und kontrolliert.

Was sollen künftig die PTF leisten?

Galt in der alten Richtlinie noch, dass zur Sicherstellung
einer pädagogischen Mindestqualifikation
regelhaft nur Lehrkräfte oder mindestens Personen
mit 1. Staatsexamen in Betracht kamen, so suggeriert
die neue Richtlinie, dass nun auch PTF leichtfüßig
zur Aufsicht und Betreuung herangezogen werden
dürfen—jedenfalls bis zur Klassenstufe 9. Danach
können die Schüler:innen auch ohne Aufsicht an
ihren Arbeitsmaterialien arbeiten. Dass hier nun
der durch PTF „betreute Unterrichtsausfall“—so die Lehrerkammer—eine „Kontinuität im Kompetenzzuwachs“
bei den Schüler:innen ermöglicht,
kann nur dem einfallen, der mangels Ressourcen
auf Betreuung statt Unterricht durch ausgebildete
Lehrkräfte setzt. Zudem: Werden die PTF zur
Betreuung im Vertretungsfall herangezogen, bleiben
ihre eigentlichen Aufgaben liegen. Nicht nur, dass
hier die Schüler:innen, die diese Angebote dringend
benötigen, die „Vertretung“ durch die PTF auf ihren
Rücken tragen müssen—der Ausfall dieser Angebote
wird statistisch noch nicht einmal erfasst; sie gelten
als geleistet! Der GPR lehnt solche Betreuungsangebote
entschieden ab.

Was kümmert sich die BSFB um Ausstattung und Dienstvereinbarungen?

Ausdrücklich sollen digitale Instrumente wie z. B.
Lernplattformen für die fachliche Kontinuität des
Vertretungsunterrichts genutzt werden. Im Lernmanagementsystem
angelegte Unterrichte sollen
freigeschaltet werden, sodass sie im Falle des
Ausfalls der entsprechenden Lehrkraft von Schüler:
innen selbstständig bearbeitet werden können.
Neben der beschriebenen Mehrarbeit, die hier auf
die Kolleg:innen zukommt (s. o.), stellt sich die
ungeklärte Frage der Systempflege (s. o.): Wer garantiert
eigentlich eine hierfür notwendige Ausstattung?
Wer kümmert sich um Datenschutz, wer um die
Einhaltung z. B. der Prozessvereinbarung zum Lernmanagementsystem
LMS, das allseits nur freiwillig
zu nutzen ist?

Jüngst hat die von der Universität Göttingen
veröffentlichte Studie1 aufgezeigt, dass digital unterstütztes
Lehren und Lernen für Lehrkräfte mit
starkem digitalen Stress und erhöhten Belastungen
verbunden ist. Im Sinne einer gesundheitsfördernden
Vertretungsrichtlinie geht das neue Konzept
der BSFB leider nicht auf. Im Gegenteil: Die schon
jetzt deutlich erhöhte gesundheitliche Belastung der
Kolleg:innen wird hier weiter verschärft.

Der GPR lehnt die Aufforderung ab, digitale Instrumente
für Vertretungsunterricht nutzen zu sollen,
solange die oben beschriebenen Fragen nicht gelöst
sind.

Die Kammern und Verbände haben ihre Stellungnahmen
abgegeben; Einfluss scheinen sie leider
nicht gehabt zu haben. Die jetzt vorliegende Richtlinie
bietet keine nachhaltigen Antworten auf die Herausforderungen, die seit Jahren bestehen. Ohne
ausreichende personelle Versorgung durch Lehrkräfte
und ohne hinreichende Ausstattung bleibt
diese neue Regelung leider nur ein Stückwerk.

Der GPR fordert daher die Kollegien auf, in den
Lehrerkonferenzen ihr Vertretungskonzept dahingehend
zu schärfen, dass eine echte Vertretung
gewährleistet wird und eine bloße Betreuung oder
gar ein angebliches „Selbstlernen“ der Schüler:innen
zurückgewiesen wird. Nur so kann Vertretungsunterricht
in seiner Qualität und Zielsetzung dem
regulären Fachunterricht entsprechen!

Der GPR fordert die Kollegien auf, die von der BSFB
unterschriebene Zusage, Lernmanagementsysteme
nur freiwillig nutzen zu müssen, einzuhalten! Die
verpflichtende Nutzung digitaler Instrumente durch
Kolleg:innen unterliegt der Mitbestimmung des
Personalrats!

Der GPR fordert die Kollegien und SPR auf, Mehrarbeit
nicht hinzunehmen, sondern einen Ausgleich
für Vor- und Nachbereitung einzufordern. Der ehemalige
Bürgermeister Olaf Scholz hatte seinerzeit
auch seinem Schulsenator „pay as you go“ verordnet.
Dieses muss auch hier eingehalten werden!

Fußnoten

1 Arbeitszeit und Arbeitsbelastung Hamburger Lehrkräfte 2024:
https://kooperationsstelle.uni-goettingen.de/projekte/hamburger-arbeitszeit-und-arbeitsbelastungsstudie